Vermittlungspersonen und deren Einschätzung zur Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten für Angehörige von Menschen mit Demenz

Angehörige von Menschen mit Demenz nehmen Unterstützungsangebote wenig bzw. erst spät in Anspruch. Es gibt Hinweise darauf, dass die Inanspruchnahme insbesondere vom Einfluss einer Vermittlungsperson abhängt. Das kann eine Hausärztin sein, eine Mitarbeiterin der Spitex oder eines privaten Vereins, ein Sozialdienst oder auch eine persönliche Bekanntschaft.

Die Datenerhebung bestand aus einer strukturierten Befragung von 51 Fachpersonen und 11 Angehörigen zur Rolle dieser Vermittlungspersonen, deren Bereitschaft, als Vermittler zu wirken und ihren Einschätzungen in Bezug auf die Zweckmässigkeit und den Nutzen der Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten. Dabei wurde auf die Diversität von Berufsgruppen, Arbeitsfeldern, Regionen und Siedlungsräumen geachtet, um ein breites Spektrum von relevanten Subgruppen mit je unterschiedlichen Erfahrungen, Möglichkeiten und Sichtweisen zu befragen. In zwei Workshops wurden konkrete Hilfestellungen für die Praxis diskutiert, um den Zugang zu Unterstützungsangeboten für Angehörige zu verbessern. 

Resultate

Die Hypothese, dass das Akzeptieren von Unterstützung häufig mit einer vertrauenswürdigen Person in Verbindung gebracht wird, wurde deutlich bestätigt. Angebote werden in Anspruch genommen, weil eine Schlüsselperson, der man vertraut und emotional nahesteht, einen entscheidenden Impuls gegeben hat. Dieses „Anstupsen“ ist in der Literatur als Nudging bekannt.

Neben der Scham bei Betroffenen bestehen Hürden bei den Angeboten: ungenügende Übereinstimmung von Bedarf und Angebot, fragmentierte Zuständigkeiten und eng begrenzter Leistungsumfang, geringe Flexibilität, Wartezeiten, Personalwechsel, fehlende Kontinuität in der Begleitung von Angehörigen, Betreuung wird durch die Kassen nicht vergütet, aber auch fehlende Betten für Notfall-Unterbringungen oder Menschen mit frontotemporaler Demenz.  Im Vergleich zu anderen häufigen Krankheiten wie z.B. Krebs oder Diabetes sind die Prozesse wenig strukturiert. Bei Demenzerkrankungen ist augenfällig, dass es kein Standard-Prozedere für die Früherkennung, Beratung, Versorgung, Begleitung und Nachsorge gibt. Angesichts der starken Zunahme an Neuerkrankungen werfen die grossen regionalen Unterschiede bei den Strukturen und Abläufen grundsätzliche Fragen auf.

Die Antworten ergeben das Bild eines komplexen Netzwerkes, in dem vieles zufällig gemacht oder nicht gemacht wird. Es gibt zwar Verbindungen zwischen den Akteuren, aber augenfällig sind die vielen Bruchstellen zwischen der Medizin und dem Sozialsystem. Viel zu viele Betroffene werden deshalb nie abgeklärt, erhalten nie eine Diagnose, werden nie aufgeklärt und niemand weist ihnen den Weg zu den Demenznetzwerken. Häufig wurde diese Passivität an den kritischen Schnittstellen mit Daten- und Patientenschutz begründet. Aber: Wegen des hohen Leidensdrucks und der abnehmenden Urteilsfähigkeit nehmen Betroffene externe Unterstützung i.d.R. gerne an – das Einverständnis zur Datenweitergabe ist daher meist nur eine Formsache.

Schlussfolgerungen & Empfehlungen

Erfolgsfaktoren einer erfolgreichen Vermittlungstätigkeit sind: Zeit haben, Zeit lassen, keinen Druck ausüben, wiederkehrend auf die Menschen mit Demenz und die Angehörigen zugehen, Kontinuität in der Beratung und Begleitung sicherstellen, Hausbesuche machen, koproduktiv auf die individuelle Situation eingehen und Verständnis für das subjektive Erleben und die oftmals kreativen Lösungen haben, mit den regionalen Angeboten gut vernetzt sein, die Akteure persönlich kennen und akzeptiert sein, wobei Lokalkolorit (Dialekt, Familienname, Vereinsengagement) die Wirksamkeit erhöht. 

Hausärzte sind als Gatekeeper an zwei Schlüsselstellen gefordert:
– Aufgrund der langfristigen Beobachtung können sie kognitive Veränderungen bei ihren Patient:innen frühzeitig erkennen. Neben einem MMS-Test sind sie es, die eine Überweisungen an Memory Clinics zur Abklärung der kognitiven Fähigkeiten und Defizite in die Wege leiten können.

– Weil Abklärung und Diagnose nicht Endstationen sein dürfen, können Hausärzt:innen als vertrauensvolle Vermittlungspersonen Betroffene und Angehörige an Beratungsstellen weiterleiten und dadurch ein wirksames Entlastungsnetz anbahnen.

Bezug nehmend auf die fehlende Kohärenz und die Brüche ist die Festigung einer systematischen, institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen Memory Clinics und Beratungsstellen und ggf. Hausarztpraxen ein Schlüsselelement: notwendig ist ein Prozess, der neben der Weitergabe der Kontaktdaten (mit Einverständnis der Betroffenen) die pro-aktive Kontaktaufnahme durch die Beratungsstellen oder Sozialdienste in den Gemeinden ermöglicht.
Wenn zudem viele Betroffene länger im eigenen Zuhause leben sollen ohne Überbelastung der Angehörigen braucht es Kontaktformate und «Marktplätze», die neben Fachleuten auch informelle Vermittlungspersonen und Betroffene einbeziehen. Diese Entwicklung hin zu einer demenzfesten Gesellschaft ist allerdings nur möglich, wenn auch für Beratung und Begleitung eine angemessene Finanzierung sichergestellt ist.